Noch Wochen nach dem 8. Mai 1945 habe er sich in Panik auf die Erde geworfen, wenn irgendwo am Himmel ein Flugzeug erschien, berichtet Paul Diefenbach (damals 7 Jahre alt) aus Köln. Bis heute würde er davon träumen, dass der im Krieg vermisste Vater wieder in der Tür erscheint, erzählt Alois Schneider (damals 12) aus dem Saarland. Als sie die ersten Bilder aus den KZs zu sehen bekam, habe sie sich ihrer BDM-Uniform geschämt und später begonnen, Geschichte zu studieren, erzählt Elfie Walther (damals 17) aus Delmenhorst. Noch ist es nicht zu spät, Fragen zu stellen. Noch leben die letzten Angehörigen der Generation, die zu jung war, um Schuld auf sich geladen zu haben, die aber alles miterlebte. Noch leben die letzten Zeitzeugen, die in Bombenkellern saßen, zum Volkssturm eingezogen wurden, mit ihren Eltern vor der näher rückenden Front flohen. Zeitzeugen des Jahres 1945 und ihre Erinnerungen stehen im Zentrum des multimedialen ARD-Projektes „Kinder des Krieges“. Ihre Aussagen machen deutlich: Unser Bild vom Jahr 1945 ist rückblickend geschönt. Geschönt von der Vorstellung des nahen Kriegsendes. Geschönt von der Vorstellung, dass am 8. Mai 1945 aller Schrecken endet. Aus Sicht derjenigen, die damals Kinder waren, stellt sich das Jahr 1945 anders dar: Zwar ist das Ende des Krieges bereits im Januar 1945 absehbar, doch niemand kann sicher sein, dieses Ende auch zu erleben. Fast alle der für diesen Film interviewten Personen haben in diesem Jahr 1945 traumatische Erfahrungen gemacht: Sie haben Hinrichtungen und Selbstmorde mit angesehen, Bombenangriffe erlebt und Vergewaltigungen ertragen. Sie drohten zu verhungern. Sie haben beim Spielen in Ruinen mit Blindgängern gespielt und dabei ihr Leben riskiert. Sie haben gesehen, wie ihre Eltern sich der Parteiabzeichen, der Hitler-Bilder, der Hakenkreuzwimpel und Fahnen entledigten. Sie wurden vorgeschickt, um die ersten alliierten Soldaten zu begrüßen, während die Eltern ängstlich hinter den Gardinen lauerten. Zusammen mit ihren Eltern wurden sie durch die befreiten Konzentrationslager geschleust, um zu erkennen, welche Verbrechen in den Jahren des Nationalsozialismus geschehen waren. Nach dem Krieg haben viele über das Erlebte geschwiegen, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Es sind unsere Mütter und Väter, unsere Großmütter und Großväter. Das ARD-Gemeinschaftsprojekt „Kinder des Krieges“ ist nicht nur für den Ausspielweg Fernsehen entstanden, sondern als multimediale Produktion für unterschiedliche Zielgruppen. Beteiligt sind alle Hörfunkwellen der ARD, die Mediathek, die Audiothek und DasErste.de für online. Unter dem Titel „Kinder des Krieges – Erinnerungen an Kindheitstage im Jahre 1945“ sind fünf regional verankerte Halbstunden-Features in der ARD Audiothek zu finden.
MDR Dok wurde auf MDR ausgestrahlt am Sonntag 5 Mai 2024, 22:50 Uhr.