Die eine Hälfte der Familie baute sozialistische Kibbuzim mit auf, die andere Hälfte die DDR. Als die 12-jährige Esther Zimmering begreift, dass sie doch noch mehr Verwandte hat als die bisher bekannten aus ihrer heimatlichen DDR, ist es um ihre Heimat schon geschehen: Die Mauer fällt. Für Esther bringt die Wende zunächst wenig Angenehmes - auf einmal gibt es in ihrer Schule Neonazis. Seitdem wird Israel zu einem Sehnsuchtsort für sie, und ihre Cousins und Cousinen dort zu ihren Vorbildern. Tagebuchartig begleitet der Film Esther Zimmerings Reise: Zur Großmutter, die die Nazizeit in Berlin erlebte, zur Gründung zweier Staaten, an der Mitglieder ihrer Familie beteiligt waren, und schließlich in die Gegenwart, in der Esthers jugendliche Schwärmereien über Israel gründlich revidiert werden. Zwischendrin und narrativ geschickt miteinander verwoben thematisiert Zimmering, die als Autorin mit aufschlussreichem Super-8-Material aus dem Familienbesitz sowie zahlreichen historischen Ton-Dokumenten oder Fotos aus dem Vollen schöpfen kann, ebenso die grausigen Schatten der Shoah. Ihre Grossmutter Lizzi, geb. Meyer, gelangte 1939 mit dem letzten Kindertransport nach England und entging so der Vergasung in den NS-Vernichtungslagern Auschwitz und Riga, wo auch viele Familienmitglieder der Zimmerings grausam ums Leben kamen. In England begegnete sie dem FDJ-Mitbegründer Josef Zimmering und heiratete ihn. 1945 kehrten sie zurück nach Ostdeutschland, in die Sowjetische Besatzungszone, und bauten dort die DDR zusammen auf. Im Gegensatz zu Lizzi gelang ihrer Cousine Lore die Flucht nach Palästina. Dort heiratete sie den Zionisten Max Zimels, der als Gesandter für die Jewish Agency in Berlin noch Tausende von Juden nach Palästina retten konnte. Sie waren Mitbegründer Israels und lebten im Kibbuz Kfar Szold, nahe dem Golan. Frei von Sentimentalität, mit einem angenehmen Schuss Selbstironie als Ex-Zonen- und plötzliches BRD-Teen und gemäß der Devise ihres Vaters Klaus ("Ich bin Weltbürger"), für den keine Rassen, Religionen oder Kulturunterschiede existieren, hat Esther Zimmering ein gleichsam optimistisches wie ansehnliches und zeithistorisch extrem facettenreiches Familienporträt gedreht. Im Mikrokosmos zweier deutsch-jüdischer Familienstammbäume, die ideologisch lange Zeit in "Ost versus West" verankert waren, lassen sich die Schönheit wie der Schrecken des 20. Jahrhunderts noch einmal hautnah erfahren. Der Filmemacherin gelingt es erstaunlich präzise, die kollektive Geschichte in Gestalt der Aufbau-Utopien von Israel wie der DDR sehr eng mit ihrer eigenen Entwicklung zu verbinden und die komplexe Familiengeschichte von 1933 bis in die Gegenwart nachzuzeichnen. Sie bleibt aber immer eine mitfühlende, ganz persönliche Beobachterin des Geschehens, auch des heutigen Israels. Der Film bringt eine frische Perspektive und ist ein von Historie tief durchwirkter Familienstoff! Der Film lief auf mehreren deutschen Filmfestivals im Wettbewerb und in vielen Kinos.
MDR Dok wurde auf MDR ausgestrahlt am Sonntag 2 Juni 2024, 22:30 Uhr.